Das Interview führte ich mit Philip Kraus, mehrfacher Landesmeister und Landestrainer Schleswig-Holstein im Ringen.
Hallo Philip, vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Philip, wer bist du und was machst du?
Ich bin Philip Kraus, 24 Jahre alt und betreibe aktiv seit meinem fünften Lebensjahr den Ringkampfsport. Mein Vater motivierte mich dazu, mit dem Ringen anzufangen. Meine ersten Erfahrungen auf der Matte sammelte ich beim TuS Gaarden. Dort trainierte ich bis 2016. Danach habe ich meine eigene Abteilung beim Kieler Männer Turnverein (KMTV) aufgemacht. Zu meiner Karriere: Ich bin 9 Mal Landesmeister geworden in verschiedenen Gewichts- und Altersklassen. Mittlerweile kämpfe ich überwiegend im Superschwergewicht, also bis 125 Kilogramm. Im Jahre 2018 wechselte ich schließlich zum RV Lübtheen. Dort kämpfte ich zunächst in der Brandenburg-Liga und in der Bundesliga. Einzelwettkämpfe bestreite ich weiterhin für den RV Lübtheen, während ich für Mannschaftskämpfe zum KFC Leipzig gewechselt bin. Dort kämpfe ich ab der kommenden Saison in der Regionalliga. Zudem habe ich an mehreren deutschen Meisterschaften und internationalen Turnieren teilgenommen.
Wann startet deine Saison wieder?
Die Hinrunde startet Mitte September, aber ich werde erst in der Rückrunde eingesetzt, da die Hinrunde noch griechisch-römisch gekämpft wird. Ich selbst kann zwar beides kämpfen, trainiere jedoch ausschließlich Freistil. Der Unterschied besteht darin, dass beim Freistil Grifftechniken am ganzen Körper erlaubt sind, während beim griechisch-römischen Stil lediglich Griffe oberhalb der Gürtellinie zugelassen sind. Die Rückrunde beginnt dann am 29. Oktober. Ab dann kann ich in meiner gewohnten Gewichtsklasse und Stilart kämpfen.
Wir wollen hier natürlich vorrangig über die Sportpsychologie reden. Wie ist das bei dir als Athlet mit langjähriger Erfahrung, welche Rolle spielt der Kopf für dich?
Also für mich ist wichtig, dass ich auf mich selbst vertrauen kann, dass ich auch mit einem gewissen Level an Selbstbewusstsein in das Ganze hineingehe. Das sage ich auch immer den Kindern, die ich trainiere. In einen Kampf muss ich mit Kampfgeist und einem gewissen Elan gehen. Vorstartfieber ist normal, muss auf der Matte aber weg sein. Wenn ich das abbauen kann, bin ich auch ein guter Kämpfer. Es ist wichtig durch seine Körpersprache auszustrahlen, dass man gewinnen will. Aus diesem Grund sind Trainingswettkämpfe ein von mir häufig verwendetes „Werkzeug“. Die Sportler:innen lernen den Druck besser kennen und entwickeln eine Sicherheit, die für einen realen Wettkampf entscheidend ist.
Und wie gehst du für dich selbst dieses Thema an?
Ich selbst versuche, mein Wissen aus meinem Sportwissenschaftsstudium, vor allem aus der Sportpsychologie, anzuwenden. Ich weiß dahingehend auch Bescheid über den ein oder anderen Trick oder die ein oder andere Methode, vor allem kurz vor dem Kampf, zum Beispiel um sich ein wenig runterzufahren, in sich zu kehren und sich besser fokussieren. Außerdem versuche ich, viele Dinge auszuprobieren, um zu erfahren, was davon für mich gut funktioniert und was nicht. Beispielsweise führt ein negativer Gedanke dazu, dass sich weitere bilden. Deshalb versuche ich mich in solchen Situationen schnell auf etwas anderes, zum Beispiel das Gefühl nach einem Sieg, zu fokussieren. Zudem versuche ich selbst stets mein Bestes zu geben. Auch wenn das mal nicht ausreichen sollte, kann ich immer noch sagen, dass ich alles gegeben habe. Selbstverständlich spielt auch der Umgang mit Niederlagen eine große Rolle. Das Wichtigste jedoch ist, dass sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen bis zur letzten Sekunde kämpfen.
Du bist ja nun schon lange in dem Sport dabei und hast deine eigene Abteilung in einem Verein gegründet. Kampfsport ist natürlich ein interessantes Feld für die Sportpsychologie: Sieg und Niederlage sind klar erkennbar. Auch der Umgang mit Misserfolgen und Selbstbewusstsein und das Einschätzen des Risikos spielen eine Rolle, weil natürlich auch Verletzungen immer wieder vorkommen. Was würdest du denn sagen, ist die Sportpsychologie in deinem Sport angekommen?
Bundesweit gibt es schon Expert:innen, die sich damit auseinandersetzen. Ein Ringer, der viel in diesem Themengebiet macht, ist Frank Stäbler. Er selbst ist bei der Olympiade in Tokio Dritter geworden. Außerdem erkämpfte er sich den Weltmeistertitel in drei verschiedenen Gewichtsklassen. Eine absolute Topleistung. Über Social Media bekommt man mit, dass er viel im Bereich der Sportpsychologie macht. Er hat viel mit Mental Coaches und Sportpsycholog:innen zusammengearbeitet, um eine richtige Strategie für seine Kämpfe zu entwickeln. In Schleswig-Holstein ist in Bezug auf das Thema leider nicht ganz so viel los. Ich selbst versuche, meine Erfahrung und mein Wissen über die Sportpsychologie bestmöglich weiterzugeben.
Das war eine schöne Überleitung, denn du bist ja seit Februar 2022 auch Landestrainer. Wie konkret gehst du denn mit den Kindern das Thema Sportpsychologie an?
"Es kommt immer auch darauf an, wie sehr man etwas will, wie sehr man gewinnen will."
Also einerseits versuche ich, im Training rüberzubringen, dass Kampfgeist und Siegeswille enorm wichtig sind. Es kommt immer auch darauf an, wie sehr man etwas will, wie sehr man gewinnen will. Da ist es mir wichtig, mit den Kindern gewisse Übungen zu machen, vor allem körperliche Übungen, um die Willenskraft zu stärken und auch mal über die Schmerzgrenze hinauszugehen und zu lernen, dass der Kopf stärker ist als der Körper. Ich hatte zum Beispiel ein Kind, das einen guten Kampf ablieferte und zur Pause solide in Führung lag. Während der 30 Sekunden Pause kam es jedoch zu mir und sagte: „Ich kann das nicht, mein Gegner ist viel stärker als ich“. Das ist natürlich eine Sache, an der man noch arbeiten muss. Wobei ich sagen muss, dass die meisten meiner Schützlinge mit dem nötigen Selbstvertrauen auf die Matte gehen. Ansonsten versuche ich, eine Vertrauensperson für die Kinder zu sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob es jetzt ums Ringen geht, um das Fitnesstraining oder um Probleme in der Schule.
Wie alt sind die Kinder, die du betreust?
Die jüngsten Kinder sind 4 Jahre alt, viele sind in der Altersklasse 5-7 Jahre, und die ältesten beim Kindertraining sind 14 Jahre alt. Bei den Erwachsenen sind die Ältesten Ende 30.
Und was würdest du sagen, wie groß ist dein Einfluss auf das Wohlbefinden und die Leistung deiner Schützlinge?
Ich schätze meinen Einfluss schon als sehr groß ein. Natürlich spielt da die Einstellung der Athlet:innen eine sehr große Rolle. Aber vor allem bei den Kindern hat man einen gewissen Einfluss als Trainer:in. Erst recht dann, wenn es um ein gutes, anständiges und respektvolles Miteinander geht.
Was sind deiner Meinung nach Themen, die Athlet:innen im Ringen beschäftigen oder herausfordern?
"Man muss auf viel verzichten, um seine Gewichtsklasse zu erreichen. All das kann auch auf die Psyche gehen."
Bei vielen Athlet:innen ist es eine Doppelbelastung. Wenn du beispielsweise Fußballprofi bist, musst du dich nicht um einen weiteren Job kümmern. Aber das sieht im Ringen und in vielen weiteren Sportarten anders aus. In den meisten Sportarten müssen die Athlet:innen Leistungssport und Arbeit unter einen Hut bekommen. Bei mir ist es ähnlich. Neben dem Sport arbeite ich als Trainer, leite Programme in Kindergärten und unterrichte an einer Schule. Dazu kommt noch das Studium. Das alles beansprucht viel Zeit und dann gilt es irgendwann zu priorisieren. Oftmals hilft es dann für sich selbst eine bestimmte Rangordnung zu haben und an dieser festzuhalten. Man muss also immer entscheiden, ob sich der Aufwand lohnt und wie das Ringen vereinbar ist mit dem restlichen Leben. Und aufgrund der Gewichtsklassen müssen viele Ringer:innen dauerhaft auf ihr Gewicht achten. In einigen Fällen nehmen Sportler:innen in kürzester Zeit viele Kilos ab, um in einer niedrigeren Gewichtsklasse zu kämpfen. Dadurch versprechen sie sich höhere Erfolgschancen. Dementsprechend ist aber auch das Thema Ernährung allgegenwärtig. Man muss auf viel verzichten, um seine Gewichtsklasse zu erreichen. All das kann auch auf die Psyche gehen.
Und was würdest du aus deiner Trainerperspektive sagen, welche 3 Themen sollten und können Trainer ihren Schützlingen vermitteln?
Die erste Sache ist Selbstbewusstsein und selbstbewusstes Auftreten. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen. Die zweite Sache ist, dass es allen Schützlingen auf physischer und psychischer Ebene gut geht. Vorrangig natürlich hier im Training, in unserem Rahmen, da wo ich Einfluss nehmen kann. Aber im Idealfall auch zuhause und außerhalb des Sports. Darauf habe ich natürlich nur begrenzt Einfluss. Die dritte Sache ist der respektvolle Umgang miteinander, nicht nur im Sport, sondern im Leben allgemein. Zum Beispiel Hilfsbereitschaft, aufmerksames Verhalten, Zuhören, aktiv mit anpacken. Auch der Umgang mit Niederlagen ist ganz wichtig im Ringen und es hilft ihnen dabei, mit Rückschlägen im Leben umzugehen. Sei es eine Prüfung, die nicht bestanden wurde, der Partner, der einen verlassen hat, alles Mögliche. Meiner Meinung nach bereitet der Ringkampfsport Kinder und Jugendliche optimal auf das Erwachsenenleben vor.
Ich danke dir für deine Offenheit und deine Zeit, Philip. Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft.
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